Philipp Grünenfelder (PG): Welche verschiedenen Lichter-Bräuche und -Rituale werden im Kanton Zürich in diesen Tagen zelebriert?
Simon Spengler (SP): Die Christen kennen den klassischen Adventskranz, auf dem für jeden der vier Sonntage der Adventszeit eine neue Kerze angezündet wird. Dies als Vorbereitung auf das Weihnachtsfest, an dem traditionell die geschmückten und von vielen Kerzen erleuchteten Weihnachtsbäume erstrahlen. Die jüdischen Gemeinden feiern gerade in dieser Woche das Lichterfest Chanukka in Erinnerung an die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v.Chr. Während acht Tagen wird jeden Tag ein weiteres Licht am achtarmigen Chanukka-Leuchter entzündet. In vielen christlichen Gemeinden werden in der Adventszeit auch frühmorgendliche Rorate-Gottesdienste gefeiert, in denen die Gläubigen mit ihrer Kerze in der Hand in der sonst dunklen Kirche beten und singen.
PG: Inwiefern hat sich die Vielfalt an solchen Ritualen in den letzten Jahrzehnten verändert?
SP: Es sind mit neu bei uns heimischen Religionen auch neue Lichterfeste hinzugekommen: Hindu vertreiben an ihrem Divali-Fest fünf Tage lang mit Kerzen die Dunkelheit als Symbol des Sieges des Guten über das Böse. Buddhistische Gläubige feiern das Fest Pavarana, an dem sie Kerzen übers Wasser treiben lassen als Zeichen der Bewegung vom Fluss des Unwissens in das Land der Wahrheit.
PG: Haben all diese Lichterfeste etwas Verbindendes?
SP: Die Sehnsucht nach Wärme und Liebe, nach Geborgenheit und Gemeinschaft. Gerade in dunklen Zeiten ist diese Sehnsucht besonders stark.
PG: Ist das ein Grund, weshalb sie auch für nicht religiöse Menschen wichtig sind?
SP: Kerzen sind Symbole, die alle Menschen intuitiv verstehen. Sie verströmen Licht, sie duften und spenden Wärme. Das sind sinnlich erfahrbare Ausdrucksformen unserer Ur-Sehnsucht nach einem guten und heilen Leben. Ob in einer katholischen Kirche vor der Mutter-Gottes-Statue oder bei einem Ritual in einer Naturreligion: Das Symbol der Kerze wird immer verstanden. Das kommt ja auch in der kommerzialisierten Form von Weihnachtsbeleuchtungen unserer Tage zum Ausdruck, in den überbordenden Lichterketten an Einkaufszentren, Hausfassaden und Strassenlaternen. Diese vielen Lichter sprechen die Menschen emotional an.
PG: Kommen wir noch zu Unterschieden: Es ist gegenwärtig ja nicht überall Winter. Wie unterscheiden sich Weihnachtsbräuche weltweit?
SP: Unsere Form von Weihnachten ist tatsächlich sehr europäisch geprägt. Auf der Südhalbkugel der Erde ist jetzt Sommer. Da spielt Weihnachten auch gar nicht die zentrale religiöse Rolle in der Volksreligiosität. Ausser natürlich der kommerzialisierte Coca-Cola-Weihnachtsmann, den man unterdessen fast weltweit antreffen kann. Kitsch und Kommerz sind hier untrennbar verschmolzen.
PG: Was wünschen Sie sich und allen Menschen, die im Kanton Zürich leben, zu Weihnachten?
SP: Frieden, Freude und Freundschaft – über alle Grenzen hinweg.
Foto: Petr Kratochvil